Wurde Ihr Antrag auf die Erwerbsminderungsrente abgelehnt, sollte die Entscheidung mit einem Widerspruch angefochten werden, wenn Sie damit nicht einverstanden sind. Viel zu schwierig ist die Materie, als das man dem Bescheid einfach trauen sollte.
Da wird im Bescheid zur Rente wegen Erwerbsminderung zur Begründung schon mal auf den eigenen medizinischen Dienst der Deutschen Rentenversicherung verwiesen, ohne, dass der Betroffene jemals von einem Mitarbeiter dieses Dienstes untersucht wurde. Eine Entscheidung nach Aktenlage. Der Weg zur Rente wegen Erwerbsminderungsrente ist steinig. Es gibt sie nicht die eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der Gesetzgeber hat mehrere Wege ausgestaltet. Doch dazu später mehr.
Niemand sollte die Ablehnung einfach akzeptieren. Mit dem Widerspruch kann man die Rentenversicherung zwingen, sich nochmals mit der ablehnenden Entscheidung auseinander zu setzen. So hält man sich den Weg zum Sozialgericht offen.
Rente wegen Erwerbsminderung gibt es in drei Varianten
- volle Erwerbsminderung – § 43 SGB VI
- teilweise Erwerbsminderung – § 43 SGB VI
- teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit – § 240 SGB VI
Rente wegen Voller Erwerbsminderung
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die volle Erwerbsminderung liegt also an sich nur vor, wenn die Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich gesunken ist. Das Bundesszialgericht lässt aber davon Ausnahmen zu.
Arbeitsmarktbedingte volle Erwerbsminderung
Wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, also teilweise erwerbsgemindert ist und der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, besteht auch ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Zudem kann die volle Erwerbsminderung auch dann vorliegen, wenn der Versicherte zwar mehr als drei oder sechs Stunden erwerbsfähig sein kann, die Erwerbsfähigkeit aber durch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder durch schwere spezifische Leistungsbehinderung gemindert ist.
Die Erwerbsmnderung liegt auch dann vor, wenn der Arbeitsmarkt trotz sechsstündiger Erwerbsfähigkeit verschlossen ist:
Der zeitliche Umfang ist nicht der alleinige Maßstab. Die Rechtsprechung hat davon einige hochinteressante Ausnahmen anerkannt.
Nicht betriebsübliche Arbeitsbedingungen
Der Arbeitsmarkt gilt trotz an sich mindestens sechsstündiger bis vollschichtiger Erwerbsfähigkeit als verschlossen, wenn nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen gearbeitet werden kann. Danach muss auch die Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit üblichen Bedingungen entsprechen.
Benötigt der Versicherte zusätzliche Arbeitspausen, die im Arbeitszeitgesetz nicht vorgesehen sind, ist zu prüfen, ob Arbeitnehmer unter solchen Bedingungen eingestellt werden. Bei zusätzlichen Pausen von zweimal 15 Minuten bestehen ernste Zweifel, ob Arbeitsplätze vorhanden sind. Erforderlich ist dann die Benennung zumindest einer zugänglichen Verweisungstätigkeit. Da nach § 4 Arbeitszeitgesetz zusätzliche Pausen nicht vorgesehen sind, gilt dies auch für mehrere notwendige Pausen von unter 15 Minuten oder wenn während der Arbeit Zwischenmahlzeiten eingenommen werden müssen. Das Arbeitszeitgesetz lässt aber gewisse Abweichungen zu und auch auf die einschlägigen Tarifverträge kommt es an.
Bei ekelerregenden oder ansteckenden Krankheiten ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber solche Arbeitnehmer nicht einstellen. Einem Versicherten, dessen Leistungsfähigkeit durch häufig auftretende Fieberschübe jeweils für mehrere Tage vollständig aufgehoben wird, kann der Arbeitsmarkt verschlossen sein. Bei Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit bestehen Zweifel an einer normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit auch für leichtere Tätigkeiten.
Beachte:
Es ist nicht offenkundig, dass ein Versicherter den Anforderungen einer Tätigkeit gewachsen ist, wenn er nur im Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen, nicht in vornübergebeugtem Stehen, im Knien, Hocken oder mit besonderen Stress- und Anspannungsbelastungen bzw. einer hohen Konzentration arbeiten kann. Das muss genau geprüft werden, was in der Praxis durch die Rentenversicherung oft übersehen wird.
Bei Anfallsleiden, zum Beispiel bei Epileptikern, ist nach der Rechtsprechung zu unterscheiden: Treten die Anfälle sehr häufig auf, sind damit insbesondere erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten verbunden, so kann dadurch schon die Fähigkeit des Betroffenen, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben, ausgeschlossen sein. Im Übrigen kann ein schweres Anfallsleiden unübliche Arbeitsbedingungen erfordern erfasst wird. In Fällen, in denen es hauptsächlich um subjektive Vorbehalte seitens der Arbeitgebers und Belegschaft geht, ist der Arbeitsmarkt nur verschlossen, wenn die der Beschäftigung eines epileptischen Versicherten entgegenstehenden Hemmungen derart stark sind, dass ihm praktisch kein Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Es müssen erhebliche, sachlich gerechtfertigte Vorbehalte gegen die Einstellung bestehen.
Weg zur Arbeitsstelle
Der Arbeitsmarkt gilt als verschlossen, wenn der Weg zur Arbeitsstelle nicht zurückgelegt werden kann. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Es kommt nicht auf den konkreten Weg vom Wohnort zu einer Arbeitsstelle oder zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels, sondern darauf an, welche Wege üblich sind. Volle Erwerbsminderung ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn
- nur noch eine Gehfähigkeit vorhanden ist, die maximal 500 Meter Wegstrecke zulässt,
- der Betroffene keinen Arbeitsplatz innehat und einen solchen auch nicht mit Hilfe eines Kfz erreichen kann und
- die Rentenversicherung auch keine beruflichen Reha-Leistungen erbracht hat.
Die Zumutbarkeit der Fußwege richtet sich nach allgemeinen medizinischen Kriterien. Sie ist zu verneinen, wenn beim Gehen auch unter Verwendung von Hilfsmitteln (z.B. Gehstützen) erhebliche Schmerzen auftreten, übermäßige körperliche Anstrengungen erforderlich sind oder die Gesundheit in besonderer Weise gefährdet ist. Die Zumutbarkeitsgrenze kann auch durch die für die Wegstrecke erforderliche Zeit überschritten werden. Das ist der Fall, wenn für 500 Meter etwa 20 Minuten benötigt werden. Regelmäßig ist daher voll erwerbsgemindert, wer nicht in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen.
So hat es zum Beispiel auch des LSG Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 23.11.2011 zum Aktenzeichen L 3 R 252/08 entschieden und der Klägerin die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt, weil sie auf Grund einer Verletzung des Sprunggelenks nicht mehr in dem erforderlichen Umfang laufen konnte.
Eingeschränkt verfügbare Arbeitsplätze
Der Arbeitsmarkt ist für typische Schonarbeitsplätze verschlossen, die regelmäßig leistungsgeminderten Angehörigen des eigenen Betriebes vorbehalten bleiben und nicht für Betriebsfremde zur Verfügung stehen. Die Tätigkeit eines gehobenen bzw qualifizierten Pförtners zum Beispiel ist nach der Rechtsprechung ein typischer Schonarbeitsplatz. Gleiches gilt für Arbeitsplätze, die nur an bewährte Mitarbeiter als Aufstiegspositionen durch Beförderung oder Höherstufung vergeben werden.
Der Arbeitsmarkt ist für Arbeitsplätze verschlossen, bei denen es naheliegt, dass sie trotz der tariflichen Erfassung nur in ganz geringer Zahl vorkommen. Eine absolute Mindestzahl von vorhandenen Arbeitsplätzen lässt sich für eine zulässige Verweisung nicht festlegen. Wird der zumutbare Vergleichsberuf an mehr als 300 Arbeitsplätzen im Bundesgebiet ausgeübt, liegt kein sogenannter Seltenheitsfall vor. Auf die Zahl der Bewerber oder möglichen Interessenten kommt es nicht an, gleichfalls nicht darauf, ob diese Arbeitsplätze frei oder besetzt sind. Hat der Versicherte bei vernünftiger Betrachtungsweise praktisch keine Chance mehr, in einem zumutbaren Verweisungsberuf unterzukommen, ist er nicht nur arbeitslos, sondern voll erwerbsgemindert.
Verweisungstätigkeiten
Nach der Rechtsprechung muss bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder bei schweren spezifische Leistungsbehinderungen von der Rentenversicherung wenigstens eine Verweisungstätigkeit konkret benannt werden.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liegt vor, wenn eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen und Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen – ohne im Einzelnen oder auf den ersten Blick ungewöhnlich zu sein – das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt vor, wenn bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungstätigkeiten versperrt.
Unter die Begriffe der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder der schweren spezifischen Leistungsbehinderung fallen nicht die üblichen Leistungseinschränkungen wie zB der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, im Akkord oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör-, oder Konzentrationsvermögen erfordern.
Die Benennung einer Tätigkeit darf nicht fiktiv erfolgen, es darf vielmehr nur auf eine solche Tätigkeit zurückgegriffen werden, die den Kräften und Fähigkeiten des Vers entspricht. Hier sind auch nicht krankheitsbedingte Gegebenheiten beim Versicherten zu berücksichtigen, wie zum Beispiel der Verlust einstmals erworbener Fertigkeiten, der allgemeine Altersabbau oder ein nicht krankheitsbedingter Analphabetismus.
Teilweise Erwerbsminderung
Teilweise gemindert ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung weniger als sechs aber mehr als drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, erwerbstätig sein kann. Das ist der wesentliche Unterschied zur Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht in dem zeitlichen Umfang, in dem noch gearbeitet werden kann. Auch einen finanziellen Unterschied gibt es: Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung fällt nur halb so auch aus, wie die wegen voller Erwerbsminderung. Deshalb lohnt sich auch die exakte Überprüfung des Bescheides, mit dem die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt wird.
Teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
Dieser Anspruch hat zwei Voraussetzungen:
- Man muss vor dem 2. Januar 1961 geboren und
- berufsunfähig sein.
Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind.
Versicherungsrechtliche Voraussetzungen
Erfüllt man diese Voraussetzungen nicht, wird es mit der Rente nichts. Dann bleiben nur Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Geregelt sind die Voraussetzungen in § 241 SGB VI. In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung müssen für drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt werden. Konkret geht es um sogenannte 3/5-Belegung. Was heißt das? Von den letzten 60 Monaten müssen 36 rentenrechtlich nachgewiesen werden. Kein Problem, wenn man während dieser Zeit in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stand oder als Selbständiger Beiträge abgeführt hat, sei es freiwillig oder auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung. Auch wer arbeitslos und beim Arbeitsamt bzw. Jobcenter gemeldet ist, erfüllt meist die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
Klingt einfach, ist es aber nicht, denn das Gesetz kennt zahlreiche Ausnahmen. Man spricht von Verlängerungstatbeständen:
- Anrechnungszeiten – § 58 SGB VI, § 252 SGB VI, § 252a SGB VI
- Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
- Berücksichtigungszeiten – § 57 SGB VI
- Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach drei oben aufgeführten Punkten liegt
- Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist zudem nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben. Auch das eine Ausnahme von der 3/5-Belegung.
Was bedeutet das? Der Zeitraum, in dem 36 Monate liegen, verlängert sich womöglich erheblich, teils um mehrere Jahre, zum Vorteil für die Betroffenen. Beachte: Gibt es bei der Feststellung der Pflichtbeitragszeiten Probleme, so geht es nicht ohne den anwaltlichen Rat.
Wie weise ich die Erwerbsminderung nach?
Die meisten Streitigkeiten vor dem Sozialgericht drehen sich um die Frage, ob die medizinisischen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Fronten sind verhärtet, denn die Rentenversicherungen zeigen sich selten verhandlungsbereit, und so führen Streitigkeiten über die Rente oft vor das Sozialgericht.
In der Regel wird das Gericht ein, machmal auch mehrere Gutachten einholen. Das hängt vom Krankheitsbild ab. Dem Gericht den Weg dorthin zu weisen, ist Aufgabe des Anwalts.
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