Schwerbehinderung: Merkzeichen aG mit Anspruch auf Behindertenparkplatz bei Parkinson

Personen, die an der Parkinson-Krankheit leiden, haben Anspruch auf Merkzeichen „aG“, wenn sie sich wegen der Schwere ihrer Erkrankung dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können, so das Bundessozialgericht in einer aktuellen Entscheidung.

Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung (= Anspruch auf das Merkzeichen aG) gelten Personen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (sogenannte Regelbeispiele), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (sogenannte Gleichstellungsfälle).

Der Kläger leidet an Parkinson und das BSG unterstreicht, das diese Krankheit grundsätzlich zum Anspruch auf das Merkzeichen aG führen kann, wenn sie dauernd mit der entsprechenden schwerwiegenden Einschränkung der Gehfähigkeit einhergeht.

Die Grundsätze für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG (Versorgungsmedizinische Grundsätze) halten dazu fest: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.

Das BSG legt diese Regelung eng aus. Betont aber auch – und das ist das Interessante an dieser Entscheidung für die Betroffenen: Die in Betracht zu ziehenden Gleichstellungsfälle „auch aufgrund von Erkrankungen“ erfassen danach die Parkinson’sche Krankheit, auch wenn die Versorgungsmedizinischen Grundsätze ausdrücklich nur Herzerkrankungen und Krankheiten der Atmungsorgane nennen und die Ergänzung des gleichzustellenden Personenkreises aufgrund von Erkrankungen klarstellen soll, dass schwerbehinderte Menschen mit „inneren Leiden“ in den Genuss des Merkzeichens aG kommen können (BR-Drucks 400/76 S 4; BR-Drucks 400/1/76 S 5). Damit ist indes keine Festlegung auf Erkrankungen aus dem internistischen Formenkreis unter Ausschluss neurologischer Erkrankungen verbunden, sondern lediglich eine Zusammenfassung der Gesundheitsstörungen beabsichtigt, die nicht in erster Linie dem orthopädischen Fachgebiet zuzuordnen sind. Verdeutlicht werden soll, dass bei der Gleichstellung nicht auf die Art, sondern auf die Auswirkungen der bestehenden Behinderungen abzustellen ist (BR-Drucks 400/76 S 4; BR-Drucks 400/1/76 S 4). Auch neurologische Erkrankungen können die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen aG begründen. Der umfassende Behindertenbegriff iS des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art 3 Abs 3 S 2 GG; Art 5 Abs 2 UN-Behindertenrechtskonvention) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen.

Fazit:

Zwar ist der Kläger in diesem Verfahren vor dem BSG unterlegen, aber das BSG zeigt auf, das ein Anspruch auf das Merkzeichen aG auch bei einer neurologischen Erkrankung wie Parkinson bestehen kann. Natürlich nur, wenn die Krankheit den entsprechend schweren Verlauf nimmt. Der Gesetzgeber eröffnet diesen Weg über die oben erwähnten „Gleichstellungsfälle“.

So kann auch eine psychische Erkrankung das Merkzeichen G bedingen.

Das BSG äußert sich auch zur Limitierung der Wegstrecke:

Auf die noch mögliche Restwegstrecke kommt es indes nicht an. Die maßgebenden Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an – erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Dabei kann Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein. Denn schwerbehinderte Menschen, die in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sind, müssen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen. Die für „aG“ geforderte große körperliche Anstrengung kann zB erst dann angenommen werden, wenn selbst bei einer Wegstreckenlimitierung von 30 Metern diese darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Strecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weiter gehen kann.

BSG, Urteil vom 16.03.2016, Aktenzeichen B 9 SB 1/15 R

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