Psychiatrisches Gutachten: Was darf der Sachverständige auf Hilfskräfte übertragen?
Worum geht es in dieser Entscheidung?
Die Klägerin stritt vor Gericht mit der Berufsgenossenschaft um eine höhere Verletztenrente, nachdem sie im Jahr 1992 einen anerkannten Arbeitsunfali erlitten hat. Kontret ging es um das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F 43.1) bei der Klägerin und deren Unfallbedingtheit. Um darüber Beweis zu erheben, hat das Thüringer LSG ein pschiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt, mit dem die Klägerin nicht einverstanden war.
Das hat die Klägerin am Gutachten kritisiert:
Die Untersuchung habe nicht der Sachverständige, sondern ein anderer Arzt durchgeführt.
Der Sachverständige habe nur die Abschlussbesprechung durchgeführt.
Im Rahmen der Abschlussbesprechung sei eine posttraumatische Belastungsstörung bejaht worden; diese sei bisher nur nicht richtig erkannt und behandelt worden. Das schriftliche Gutachten stehe deshalb im konträren Widerspruch zu der Abschlussbesprechung am Untersuchungstag.
Zwischen dem Tag der Untersuchung und dem schrifltichen Gutachten lagen ca. 2,5 Monate.
Was sagt das Gericht dazu?
Ein vom Gericht mit der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens beauftragter Sachverständiger ist verpflichtet das explorierende Gespräch mit dem Probanden im wesentlichen Umfang selbst durchzuführen (BSG, Beschluss vom 17.4.2013 – B 9 V 36/12 B). Es obliegt grundsätzlich der Einschätzung des Sachverständigen, welche Zeit für die Exploration und die persönliche Begegnung mit dem Probanden im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung gezielter Vorarbeiten erforderlich ist. Handschriftliche Aufzeichnungen über den Inhalt des Gesprächs können die Erörterung wesentlicher Gesichtspunkte belegen. Das hat das Gericht bejaht.
Ausschließlich die schriftliche Abfassung des Gutachtens ist maßgebend. Mündliche Einschätzungen eines Sachverständigen sind nicht präjudizierend. Das heißt, sie gehen dem Gutachten nicht vor. Nur eine schriftliche Begründung biete die Gewähr für eine korrekte Wiedergabe des Ergebnisses der Begutachtung. Zudem werde in vielen Fällen zum Zeitpunkt des Endes der persönlichen Untersuchung das Ergebnis der Begutachtung noch gar nicht feststehen.
Ein Zeitraum von 2,5 Monaten zwischen durchgeführter Untersuchung und schriftlicher Abfassung des Gutachtens ist bei einem psychiatrischen Sachverständigengutachten in der Regel nicht zu beanstanden. Es komme gerade bei einem psychiatrischen Gutachten entscheidend darauf an, dass der Gutachter sich nicht nur einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen in einer angemessenen Untersuchungszeit verschafft, sondern diesen auch entsprechend zeitnah für die Beteiligten und das Gericht darlegt. Denn nur dann sei gewährleistet, dass sich der Gutachter überhaupt noch an die Untersuchungsperson erinnert. Der Sachverständige hatte sich jedoch im Rahmen des Abschlussgespräches umfangreiche Notizen gemacht, auf die er bei der Abfassung des Gutachtens zugreifen konnte, um seine Erinnerung aufzufrischen, so das Gericht. Klingt nicht sehr überzeugend, da das Gericht auch feststellt: Gerade bei einem Praktiker wie dem hier beauftragten Sachverständigen, der jeden Arbeitstag mit einer Vielzahl von Personen zu tun hat, muss der persönliche Eindruck von der zu untersuchenden Person zwar naturgemäß nach einem gewissen Zeitablauf verblassen.
Fazit:
Nach § 407a ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Nach der Rechtsprechung des BSG muss der Sachverständige die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbringen. Inwieweit die Durchführung der persönlichen Untersuchung des Probanden zum sogenannten unverzichtbaren Kern der vom Sachverständigen selbst zu erfüllenden Zentralaufgaben zählt, hängt von der Art der Untersuchung ab. Je stärker die Untersuchung auf objektivier- und dokumentierbare organmedizinische Befunde bezogen ist, umso eher ist die Einbeziehung von Mitarbeitern möglich. Bei psychologischen und psychiatrischen Gutachten muss der Sachverständige die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen (BSG, Beschluss vom 17. April 2013 – B 9 V 36/12 B).
Wenn also in einem Gutachten psychologische oder psychiatrische Fragen zu beantworten sind, muss der Sachverständige umfangreiche Teile, mehr als zum Beispiel in der Geräte- oder Labormedizin der Fall wäre, der Arbeit selbst leisten. Auf Hilfskräfte kann er nur wenig übertragen und das muss deutlich gemacht werden. Sonst macht sich der Sachverständige angreifbar. Betroffene sollten das genau beobachten und zur Sicherheit notieren, wer, wie lange welche Untersuchung oder Besprechung erledigt hat. Ohne genaue Angaben wird das nichts.
Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 24.08.2017, Aktenzeichen: L 1 U 121/14