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Neue Behandlungsmethoden – Gesetzliche Krankenversicherung muss zahlen

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung.

Obwohl vom Bundesverfassungsgericht entschieden und vom Gesetzgeber geregelt, verneinen Krankenkassen, aber auch Gerichte mitunter die Leistungspflicht in diesem Fall. Deshalb musste sich das höchste deutsche Gericht erneut mit der Frage auseinandersetzen und hat im Sinne der Betroffenen entschieden.

Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen für die Kostenübernahme in § 2 Abs. 1a SGB V geregelt. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Sachverhalt

Im November 2009 erkrankte die Klägerin an einem metastasierenden Ovarialkarzinom. Nach Operation und Chemotherapie wurden im Dezember 2011 Metastasen zwischen Magen und Pankreas sowie am Milzhilus festgestellt. Im März 2012 wurde weiter eine Milzmetastase festgestellt. Nicht klar beurteilen ließ sich, ob auch schon die Leber betroffen ist. Am 19. März 2012 stellte die Klägerin bei ihrer Krankenkasse den Antrag auf Übernahme der Kosten von 15.000 EUR monatlich für eine Behandlung mittels einer kombinierten Immuntherapie (Hyperthermie, onkolytische Viren und dendritische Zellen) bei einem Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren.

Was sagen die Gerichte?

Krankenkasse, Sozialgericht und Landessozialgericht lehnten den Anspruch ab. Erst das Bundesverfassungsgericht stellte sich auf die Seite der Klägerin.

Die von der Klägerin begehrte Kombinationstherapie gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar gebe es nach den Feststellungen des Landessozialgerichts für die Behandlung der Krebserkrankung der Klägerin mehrere allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Zweitlinienbehandlungen.

Soweit das Landessozialgericht in dem angegriffenen Beschluss bei der Auslegung des § 2 Abs. 1a SGB V aber meine, es könne offen lassen, ob „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ besteht, sei dies mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip der Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren. Es bedürfe einer besonderen Rechtfertigung vor Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, wenn den der Versicherungspflicht unterworfenen Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden.

Die Argumentation des Landessozialgerichts verkenne, dass die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, nicht losgelöst davon betrachtet werden kann, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgebe. Bei der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, sei zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären. Bereits aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergebe sich, dass hinsichtlich der therapeutischen Ziele der Krankenbehandlung zwischen der Heilung einer Krankheit, der Verhütung ihrer Verschlimmerung und der Linderung von Krankheitsbeschwerden differenziert wird.

Dabei sei nach Möglichkeit die Heilung der Krankheit als das vorrangige Behandlungsziel anzustreben, während die Verhütung einer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig nachrangige Behandlungsziele seien. Biete die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet, komme die Alternativbehandlung nur dann in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, reichten hierfür nicht. Mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist es in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr jedoch nicht zu vereinbaren, Versicherte auf eine nur mehr auf die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht .Das Landessozialgericht muss nun erneut über das Anliegen der Klägerin entscheiden – unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Entscheidung im Volltext:

BVerfG, Beschluss vom 26. 2. 2013 – 1 BvR 2045/12