BSG zur Erwerbsminderung bei Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
Ein typisches Problem beim Streit um die Erwerbsminderungsrente. Es gibt nicht die eine Erkrankung, die das Erwerbsleben schwer macht. Viele Betroffene leiden unter mehreren gesundheitlichen Einschränkungen, oft eine Folge des Alters. Theoretisch kann man noch mehr als sechs Stunden arbeiten, aber was? Wie die Sozialgerichte in einem solchen Fall vorgehen müssen, hat das BSG entschieden und er unterscheidet wie folgt:
- „schwere spezifische Leistungsbehinderung“ eine schwerwiegende Behinderung, die bereits allein ein weites Feld an Einsatzmöglichkeiten versperrt, zum Beispiel Einarmigkeit oder besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz
- „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“, die in ihrer Wirkung der schweren spezifischen Leistungsbehinderung gleichkommen. Dabei sind zwei Fallgestaltungen denkbar:
- Es liegen (mindestens) zwei Leistungseinschränkungen vor, die ihrer Art bzw. Schwere nach (zB Wechselrhythmus in 20 bis 30 Minuten mit einigen Minuten dauerndem Wechsel; keine schnellen Arm- und Handbewegungen) jeweils für sich genommen schon eine erhebliche Einschränkung auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringen.
- Es liegen mehrere Leistungseinschränkungen vor, die sich aufgrund ihres Zusammentreffens insgesamt „ungewöhnlich“ auswirken, sodass die Chance, einen Arbeitsplatz ausfüllen zu können, stark reduziert erscheint.
Die Benennung, Bewertung und Begründung der zur Summierung führenden Wirkung ist tatrichterliche Aufgabe, muss also mit Hilfe von Gutachten geklärt werden. Das klingt nicht nur kompliziert. Das ist es auch. Aber hier liegt die Chance für Betroffene, deren Erwerbsminderung nicht offensichtlich ist.
Liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, hat der Rentenversicherungsträger eine geeignete Verweisungstätigkeit konkret zu benennen. Es ist dann das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen mit dem beruflichen Anforderungsprofil zu vergleichen. Hierbei ist auch zu fragen, ob die/der Versicherte die fachlichen Qualifikationen hat bzw. ob sie/er sie in drei Monaten erlernen kann.
Aber voll erwerbsgemindert sind Menschen,
- Die zwar noch sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten können, aber nicht mehr unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen (insbesondere zusätzliche Pausen und Verteilung der Arbeitszeit) arbeiten können voll erwerbsgemindert.
- Deren Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (Wegefähigkeit), relevant eingeschränkt ist (weniger als 500 m).
Sind Versicherte nur noch einsetzbar
- in einem Teilbereich des Tätigkeitsfeldes,
- auf Schonarbeitsplätzen
- auf Arbeitsplätzen, die an Berufsfremde nicht vergeben werden,
- in Aufstiegspositionen oder
- auf Arbeitsplätzen, die in ganz geringer Zahl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommen,
ist zu prüfen, ob im Falle eines auf leichte Tätigkeiten beschränkten Leistungsvermögens eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung gegeben ist. Erst ein solcher Ausnahmefall begründet die Notwendigkeit der Benennung einer Verweisungstätigkeit. Also auch dann wird es nicht einfacher, aber die Aussichten sind besser.
Fazit:
Einfach ausgedrückt: Kann man zwar noch mindestens sechs Stunden arbeiten, aber nur mit Einschränkungen, dann müssen die Einschränkungen exakt benannt werden. Und es muss geprüft werden, ob mit diesen Einschränkungen noch eine verwertbare Arbeit möglich ist. Das BSG lässt nun auch „gewöhnliche Leistungseinschränkungen“ zu, die recht weit verbreitet sind, während es nach der früheren Rechtsprechung immer „ungewöhnliche Leistungseinschränkungen“ sein mussten.