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Anspruch auf ein weiteres Gutachten im Gerichtsprozess

Besteht der begründete Verdacht, dass sich während des Gerichtsverfahrens – nach Einholung des Erstgutachtens – der Gesundheitszustand des Betroffenen verschlechtert, muss das Gericht ein erneutes medizinisches Gutachten einholen, wenn das für die Beurteilung des Leistungsvermögens erheblich ist.

Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Gegenstand des Verfahrens war die Erwerbsminderungsrente des Klägers. Sozialgericht und Landessozialgericht hatten zuvor die Klage abgewiesen. Der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gab das BSG statt und verwies das Verfahren zurück an das LSG Niedersachsen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Das Erstgutachten lag in der langandauernden gerichtlichen Auseinandersetzung über zwei Instanzen bereits mehr als vier Jahre zurück, als ein aktueller ärztlicher Befundbericht auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers hindeutete. Mit dem Erstgutachten wurde dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen bescheinigt. Mit Verweis auf den Befundbericht beantragte der Kläger die Einholung eines Zweitgutachtens. Das LSG lehnte die Einholung eines weiteres Sachverständigengutachtens auf dem selben medizinischen Fachgebiet ab, weil es nicht an die Verschlechterung des Gesundheitszustandes glaubte. Nach Ansicht des LSG ergaben sich aus dem aktuellen Befundbericht keine neuen Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Klägers.

Das BSG sieht das anders und hat die Voraussetzungen definiert.

Erforderlich ist zwingend ein Beweisantrag. Soll die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich sein, muss der Antrag in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu Protokoll gestellt werden.

Es verweist zunächst darauf, dass das Erstgutachten bereits mehr als viereinhalb Jahre zurück lag und die Röntgenaufnahmen, auf denen es aufbaute zum Teil noch älter waren, teilweise mehr als fünf Jahre.

Weiter führt es aus, das im aktuellen Befundbericht, im Gutachten nicht erwähnte und deshalb dort nicht berücksichtigte medizinische Befunde enthalten sind. Im Erstgutachten wird zudem schon auf ein mögliches Fortschreiten der Erkrankung hingewiesen.

Diese Anhaltspunkte genügen dem BSG, um die Notwendigkeit eines weiteren medizinischen Gutachtens zu bejahen. Das LSG hätte also dem Beweisantrag folgen und ein weiteres Gutachten einholen müssen. Genau das wird es jetzt nachholen.

Fazit:

Die Entscheidung des BSG betrifft die Erwerbsminderungsrente. Die grundsätzlichen Überlegungen zur Einholung eines Zweitgutachtens dürften aber auch für andere Verfahren interessant sein, bei denen es auf den Gesundheitszustand ankommt. Sicher muss man abwarten, wie sich die Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Sachverhalten entwickelt.

Für die Betroffenen ist die Entscheidung zu begrüßen, denn das Zweitgutachten wird nach § 103 SGG, also von amtswegen eingeholt. Das heißt, dem Kläger entstehen dadurch keine Kosten. Im Gegensatz dazu die Gutachten nach § 109 SGG, die je nach Ausgang des Verfahrens mit erheblichen Kosten verbunden sind, falls nicht eine Rechtschutzversicherung die Kosten übernimmt.

BSG, Beschluss vom 13.06.2013, Az. B 13 R 485/12 B

Erfahren Sie mehr zu diesem Thema:

⇒ Erwerbsminderungsrente

⇒ Depression als Ursache der Erwerbsminderung

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